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Ein Konzept aus Überzeugung

„Selbstbestimmtes Leben im Alter“ ist das Konzept, nach dem alles, aber auch gar alles im Annenbergheim Latsch ausgerichtet ist. Es fördert die Begegnung auf Augenhöhe, erhält die Entscheidungsfreiheit und ist – ohne Zweifel – ein ehrgeiziges Ziel.

Pflegebedürftige Senioren, Mitarbeiter, Angehörige, Ärzte, die Direktorin und der Verwaltungsrat – alle ziehen im Annenbergheim Latsch an einem Strang, wenn es darum geht, das „Selbstbestimmte Leben im Alter“ zu garantieren. „Es ist unser Ziel, die Selbständigkeit so lange als möglich zu erhalten und selbstbestimmte Entscheidungen in Pflege, Betreuung und Tagesgestaltung zu fördern“, erklärt Direktorin Iris Cagalli. Durch die verschiedenen Dienstleistungen, die untereinander kombiniert werden können, sollen Hemmschwellen abgebaut, Vertrauen geknüpft und Schuldgefühle gelindert werden. „Die Entscheidungsfreiheit gibt die Möglichkeit, den Moment des Umzugs in das Seniorenwohnheim unvoreingenommener zu wählen“, so Cagalli, „zudem wird ein längerer Aufenthalt daheim ermöglicht und einer Überforderung in der Pflege seitens der Angehörigen besser vorgebeugt“. Für die Direktorin ist klar, dass es im Heimalltag keine Verbote geben dürfe – außer vielleicht eines: „Die Frage ,Darf ich…?‘ ist bei uns verboten“, lächelt sie.

Den eigenen Lebensalltag aktiv gestalten, bedeutet nicht nur alltägliche Verrichtungen nicht als Bürde zu erleben, sondern auch, aus der selbstbestimmten Teilnahme und gleichberechtigten Mitsprache in der Tagesgestaltung Energie zu schöpfen. Das weiß auch Paula Plank, die seit 1995 am Annenbergheim Latsch tätig ist und die Tagesgestaltung sowie die Arbeit von 180 freiwilligen Helferinnen und Helfern koordiniert. Plank hat die Umstellung zum „Selbstbestimmten Leben“ aus erster Hand miterlebt, sie hat die neue Ausrichtung zu einem wesentlichen Faktor im Umgang mit den Menschen werden lassen.

Konkret heißt selbstbestimmt zu leben, dass nicht die Leitung oder die Betreuer über die Köpfe der anderen hinweg entscheiden, sondern die Bewohner selbst – im Rahmen ihrer gesundheitlichen und organisatorischen Möglichkeiten. „Man vergisst häufig, dass Lebensqualität bei Kleinigkeiten anfängt“, erklärt Plank. „Bei der Faschingsfeier verteilen wir nicht einfach jedem eine Hälfte vom Faschingskrapfen, sondern jeder kann selbst nehmen, worauf er Lust hat und wieviel er mag.“ Auch an solchen Details merkt man, wie sehr Paula Plank – und nicht nur sie – vom Konzept überzeugt ist. „Die Heimbewohner“, sagt sie, „schätzen besonders den Respekt, der ihnen entgegengebracht wird. Sie möchten nicht bevormundet werden, sondern miteinbezogen werden“.

Es gebe allerdings auch Bewohner, die mit Eigenständigkeit und Selbstbestimmung überfordert seien, etwa aufgrund von Krankheiten oder eine falsche Unterstützung. Deshalb hinterfragen die Betreuer ihr Tun und Handeln stetig, müssen genauer beobachten und flexibel reagieren. „Dadurch fallen wir aber auch nie in eine Routine, was sonst in der Pflege und Betreuung sehr häufig der Fall ist“, sagt Plank. Und: „Wir müssen den Bewohnern die Zeit geben, selbst Entscheidungen zu treffen.“ Wenn der Bewohner etwa für sich entscheide, was er anzieht, dann dauere das länger. „Dieser Mehraufwand an Zeit lohnt sich aber, wenn ich dann einen zufriedenen Menschen in den Tag begleiten kann”, erklärt Plank. Die Autonomieprozesse der Heimbewohner gelte es nicht nur zu erkennen, sondern auch zu unterstützen. „Falls man das nicht schafft, fühlen sich die Bewohner sehr bald machtlos und verlernen es, für sich Entscheidungen zu treffen“, erklärt die Expertin. „Wir Betreuer müssen uns noch mehr zurücknehmen und weniger eingreifen.”

Das Konzept des selbstbestimmten Lebens fußt auch auf der Mitarbeit der zahlreichen freiwilligen Helferinnen und Helfer. Ob ein Spaziergang am Nachmittag, ein gemütlicher „Karter“ oder der Besuch der Musikkapelle: viele große und kleine Einsätze runden das Programm ab – übrigens durchaus nicht nur zum Wohl der Heimbewohner. Sie habe, erzählt uns Plank, oft erlebt, wie sinnstiftend und beglückend die ehrenamtlichen Helfer ihr Tun empfänden und wie groß die Bereicherung sei, die sie erlebten.

Im gesamten Haus herrscht die Bereitschaft, alte Betreuungsmuster zu hinterfragen und neue, menschengerechte und respektvolle Wege zu suchen. Altenbetreuung ohne Geländer – im Alten- und Pflegeheim Latsch nicht nur gelebter Alltag, sondern eine tägliche Herausforderung, der sich alle gemeinsam stellen.